Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten arbeitete der "neue" Staat rigoros an der Gleichschaltung und der Beseitigung jüdischen Mitbürger, Kommunisten und anderer "Staatsfeinde". Der Reichstagsbrand war sozusagen der Auftakt. Inszeniert. Schon im März 1933, nach einer demütigenden Treibjagd durch Wanheimerort wird so Ley - ein jüdischer Ladenbesitzer - und drei kommunistische Arbeiter, Hermann Fack und Hans Geist, beide Betriebsräte bei Mannesmann und Robert Schroer auf den Michaelsplatz geführt. SS und SA hatten sie gezwungen, Hitlerlieder zu singen und sich in rote Fahnen einzuwickeln. So trieb man sie durch die Straßen, pöbelte sie an und führte sie vor[Tatort Duisburg Bd. 69, dort auch ein Foto der Situation].
1935 waren die Maßnahmen weiter verschärft worden. Man hatte bereits vor 1933 keine Skrupel Andersdenkende auch zu beseitigen (wobei nicht verhehlt werden sollte, dass auch aus der umgekehrten Ecke, von Kommunisten und Sozis, keine großen Skrupel bestanden sich mit körperlichem Einsatz oder auch Waffengewalt zu engagieren). Nun stiegen die Verhaftungen noch weiter an. Im Juni 1935 schreibt die Staatspolizeistelle Duisburg-Hamborn in der Schutzhaftsache Alfred Lemnitz:
..Eine Haftentlastung des Alfred Lemnitz erscheint bei der z.Zt. herrschenden Rührigkeit der illegalen KPD nicht angebracht, vielmehr wird um Verlängerung der Schutzhaft für L. gebeten. Lemnitz ist der typische Revolutionär und derart radikal verschlagen, das von ihm keine Besserung zu erwarten ist. ....[HD-G-2199Bl.15,24 - nach Tatort Duisburg Bd. I, S. 74]
Im Oktober 1938 werden 140 Juden aus Duisburg ausgewiesen. In der Reichskristallnacht (s.a. Video Reichskristallnacht) werden die Synagoge in Duisburg in der Junkerstraße und Betsäle in Hamborn, Ruhrort und die Leichenhalle auf dem jüdischen Friedhof in Brand gesteckt. 25 Geschäfte und 40 Wohnungen werden demoliert. 60 zum Teil verletzte Juden werden festgenommen oder gehen freiwillig in "Schutzhaft". 130 Einzelhandelsbetriebe, 30 Versand- und Bestellkontore sowie 29 Handelsbetriebe werden geschlossen oder ariesiert.
In Neumühl fällt den Schergen der Nationalsozialisten u.a. das Textilgeschäft der Mühlsteins zum Opfer. Friedrich (Fritz) Mühlstein, 1888 in Singhofen/Nassau, geboren lebt seit 1916 in Hamborn. 1927-1938 in der Lehrerstrasse - in der Nazizeit Kleibauerstrasse - 2. Verheiratet war er mit der Nichtjüdin Sally Bohrenkämper. Schon seit der Heirat 1932 war auch die Familie Bohrenkämper Ziel von Beleidigungen. Als "Judenknecht" bezeichnet zu werden war schon bald Gewohnheit, hinzu kamen aber auch die täglichen Übergriffe gegen Hab und Gut der Mühlsteins. Heinrich Bohnenkämper, stellvertretender Direktor der gewerblichen Berufsschule in Hamborn, war häufiger Zeuge solcher Überbegriff und selber durch die Übergriffe betroffen, weil er sich vor seinen Schwager und dessen Familie stellte [StadtArchiv Duisburg 400A/6922, nach Tatort Duisburg S.557]. Bohnenkämper versuchte durch einen Parteibeitritt im Mai 1933 die Situation zu entschärfen, was ihm aber nicht gelang. Auch als er sich nach den Ereignissen vom November 1938 für seinen Schwager verwendete, half das Parteibuch nicht. Im Gegenteil. Mehrmals fanden nächtliche Hausdurchsuchungen der Gestapo statt bei denen man angeblich nach dem Schwager suchte. Man beschlagnahmete einen Radioapparat, verbreitete Angst und Schrecken und das alles obwohl die entsprechenden Stellen wußten, dass der Schwager Mühlstein bereits im KZ in Dachau war.
In der Nacht vom 9. auf den 10.11. war das Textilgeschäft demoliert, dann in Brand gesteckt worden. Teile der Wohnung wurden verwüstet und Mühlstein war verhaftet worden. Bis 31.12.1938 muss er in KZ-Haft einsitzen. Zwischen 1939-1942 lebt er wieder bei seiner Familie, ohne Vermögen und ohne die Möglichkeiten wieder am normalen Wirtschaftsleben teilnehmen. Im September 1942 wird er nach Theresienstadt, im Oktober 1944 nach Ausschwitz deportiert. Dort verliert sich die Spur.
Auch in der Lehrerstrasse 137 bei Königsberger - Inhaber waren wahrscheinlich die Gebrüder Burger [Tatort Duisburg, S. 561] - kommt es zu gewaltsamen Übergriffen wie auch in der übrigen Stadt wie in der Allee- und Jägerstrasse und vielen anderen Ordner(vgl. auch Reichskristallnacht-Akten).
Die "Spontanaktion" in der Folge des Todes des Diplomaten v.Rath, der von einem polnischen Juden namens Grünspann am 07.11. angeschossen worden war und am Nachmittag des 9.11. verstarb, waren, wie auch der Reichstagsbrand, ein passender Anlass für die neuen Herren. In polizeilichen Anweisungen wurde bereits wenige Stunden nach dem Tode die Maßnahmen, die man erwartete, aber vor allem die, die man zulassen wollte beschrieben. Interessant ist insbesondere die Tatsache, dass ..die Zerstörung zugelassen werden sollte, die Plünderung nicht.., man also bewußt die Aktivitäten der SA unterstützte.
Das Bekleidungshaus der Mühlsteins lag an der Ecke Holtener-/Lehrerstrasse. Es war Anlaufstelle für das ganze Viertel. Und viele bezogen dort ihre Kleidungs-stück mit Ratenzahlung. Auch Maria J. und ihre Familie waren Kunden. Am morgen des 10.11 gegen 9 Uhr zerstörten mehrere Mitglieder einer SA Gruppierung den Geschäftsbetrieb der Mühlsteins und um 13.30 Uhr brach - ohne das "man feststellen" konnte, wer die Täter waren - Feuer aus. Dem Brand fiel dann wohl der gesamte Warenbestand zum Opfer. Natürlich blieb das nicht ohne Reaktion der Bewohner, die Zusammenrottungen, Lärm und Zerstörung, später der Brandgeruch zieht die Nachbarn aus der ganzen Umgebung an. Bereits am Morgen versammelte sich eine Vielzahl der Nachbarn vor dem Geschäft als die SA aufmarschiert und die Stimmung aufheizt, in die Privatwohnung poltert und mit vermeintlicher staatlicher Autorität das Recht zur Durchsuchung einfordert, die Bewohner beleidigt und verängstigt.
Auch Maria J. und Ihre Tochter aus der Lehrerstrasse fanden sich dort ein. Die Stimmung war Empörung gegen die Braunhemden, auch Zustimmung des einen oder anderen. Die Mehrheit hat mit den Braunhemden nicht wirklich etwas zu tun. Zentrum, SPD und Kommunisten hatten immer noch die Mehrheit, wenn das brauner Gedankengut auch schon weiter um sich gegriffen hatte. Der örtliche Gruppenleiter der SA, leitete wohl die Aktion. Die Vermutung man beseitige hier eine Konkurrenz am Markt und nicht nur "den Juden" ist auch heute noch in der Erinnerung einiger Beteiligter. Maria J. kam in ihrem bordeauxroten Wintermantel.
Diesen Wintermantel hatte sie "auf Pump" gekauft und Ihrer Tochter erinnert sich noch heute daran, dass Ihre größte Sorge war wie sie Mühlsteins die restlichen Zahlungen leisten könnte.
Der Brand empörte zumindest einen Teil der Zuschauer. Widerstand vor Ort schien aber in Hinblick auf die Präsenz der SA, der es auf die eine oder andere Pöbelei nicht ankam, nicht angezeigt und so stand auch niemand den Betroffenen bei.
Mühlsteins kehrten nicht zurück. Königsberger in der Lehrerstrasse/ Kleibauerstrasse 137, ging es ähnlich.